Wir nennen es Krieg. Aber was für einen?
Teil 2 – Islamischer Bürgerkrieg
von C.K.
Im zweiten Teil meiner Reihe zu Wahrnehmungsmöglichkeiten des sogenannten „War on Terror“, möchte ich die vor allem im Westen oft unterrepräsentierte Deutung eines
Civil War within Islam vorstellen. Auch hier, wie bereits im
ersten Teil der Serie, lehne ich mich in der Argumentation weitestgehend an David Kilcullens
Accidential Guerilla an. Ich stelle vier einander nicht zwangsläufig ausschließende Interpretationen vor, die mögliche Antworten auf die Frage nach Natur und Ursache des Konfliktes geben, in dem sich der Westen befindet.
Nach dem Paradigma des islamischen Bürgerkrieges, ist die Ursache des Konfliktes nicht im Verhältnis „Westen – Islam“ zu suchen, sondern liegt vielmehr in der muslimischen Welt selbst begründet. Was wir unter „War on Terror“ als Angriff auf den Westen konzeptionalisieren, ist im eigentlichen Sinn ein Kampf um die Macht in den islamischen Staaten.
Die Gründe sind vielfältig. Youth Bulge, korrupte und repressive Regime, ökonomisch dysfunktionale Geschlechterrollen und die Unfähigkeit der zunehmend besser ausgebildeten Jugend aussichtsreiche Positionen in der Gesellschaft zu schaffen, werden vom Gefühl der Demütigung durch „den Westen“ verstärkt. Die ganze Misere ist im jährlich erscheinenden
Arab Human Developement Report nachzulesen. Der Westen ist also durchaus ein natürliches Ziel, aber die Angriffe werden vor allem genutzt um Legitimität und Unterstützung in der
Ummah zu generieren. Das eigentliche Ziel ist der Sturz der gegenwärtigen Regime von Indonesien bis Ägypten.
Ayman al-Zawahiris Verlautbarungen nach 9/11 oder auch der
General Guide to the struggle of Jema’ah Islamiyah legen diesen Schluss nahe. Zwar handelt es sich bei der Machtübernahme in den islamisch geprägten Staaten nur um den ersten Schritt in einer Strategie zur weltweiten Verbreitung des Islam, aber man kann zu Recht argumentieren, dass dies die aktuelle Phase der Auseinandersetzung ist und für die Deutung somit relevanter als mögliche folgende Phasen. In dieser Sicht hat das weltweite Vorgehen gegen AQ vor allem zu einer Aufwertung dieser Organisation und ihrer Ideologie geführt.
Eine zweite Variante des Civil War Modells ist der schiitische Wiederaufstieg in Folge der Revolution von 1979 im Iran und der weitere Machtzuwachs der iranischen Theokratie durch den Sturz Saddam Husseins seit 2003. Der resultierende „schiitische Halbmond“ von Iran bis Libanon ist eine Erschütterung der traditionellen Machtbalance in der muslimischen Welt. In diesem Modell wären die blutigen Jahre ab 2003 im Irak durchaus als Widerstand gegen eine ausländische Besatzungsmacht zu sehen, vor allem aber als interne soziale Revolution und ein – knapp verhinderter – Bürgerkrieg. Die klar ethnische Komponente der Gewaltausbrüche in der Nachfolge der Anschläge in Samarra im Februar 2006 ist Teil dieser Konfliktebene.
Die dritte Komponente ist der Aufstieg Irans als Staat und regionaler Hegemon. An strategisch günstiger Position und mit Rohstoffen ausgestattet, ist Iran in der Lage als schiitischer Staat erheblichen Einfluss in der Region auszuüben. Iran unterstützt nicht nur Taliban und Hisbollah, er ruft vor allem auch Reaktionen bei mehrheitlich sunnitischen Nationen wie den Golfstaaten oder Saudi-Arabien hervor, die sich durch einen starken Iran bedroht fühlen.
Das lässt dem Westen zwei prinzipielle strategische Optionen, direkte Intervention oder Containment.
Die USA reagierten auf 9/11 mit einer Vielzahl direkter Interventionen, die Operationen in Afghanistan und im Irak, die Gewährung von Militärhilfen im Gegenzug für politisches Wohlverhalten wie in Pakistan, die Ausbildung von Partnerstreitkräften oder Drohneneinsätze sind Teil dieser Strategie. Auch diplomatisches Engagement wie die immer wiederkehrenden Versuche der „Lösung“ des Nahostkonflikts gehören dazu, denn alle Maßnahmen zielen im Prinzip auf eine Strukturierung der muslimischen Welt im westlichen Sinne. Die Erfolge im Hinblick auf finanzielle Ressourcen, globale Wahrnehmung und die Schlagkraft terroristischer Organisationen scheinen – zumindest kurzfristig - eher dürftig.
Eine alternative Variante wäre eine Art Containment, also der Versuch die Gewalt auf die muslimische Welt zu begrenzen. Aber niemand scheint so recht zu wissen wie ein gangbarer Weg in diese Richtung aussehen sollte und es lässt sich vermutlich zu Recht einwenden, dass dies unter den Bedingungen der weltweiten muslimischen Diaspora sowie der wirtschaftlichen und energiepolitischen Verflechtungen kein denkbares Unterfangen ist.
Nimmt man das Civil War within Islam Paradigma ernst, lassen sich verschiedene strategische Beobachtungen machen.
Der Westen ist in einen domestic conflict eingetreten, mit dem Ergebnis, dass sich alle Akteure gegen ihn gewandt haben. AQ, Iran, schiitische und sunnitische Milizen, Pashtunen in der FATA und Teile der eigenen muslimischen Bevölkerung. Das beruht möglicherweise auch auf dem Unwillen muslimischen Verbündeten zuzuhören und der Unfähigkeit die verschiedenen islamistischen Strömungen zu unterscheiden. Eher führt das Paradigma des „War on Terror“ dazu die innere Kohäsion der eigentlich für ideologische Grabenkämpfe und somit Absetzbewegungen anfälligen islamistischen Bewegung zu stärken. Die Gleichbehandlung durch den Westen schafft zu einem gewissen Teil erst die gemeinsame Identität. Damit hat der Westen ein fundamentales strategisches Prinzip verletzt: nie mehr Feinde als unbedingt notwendig gleichzeitig zu bekämpfen.
Teil 3 dieser kleinen Serie stellt das Paradigma der Global Insurgency vor, gefolgt vom 4. Teil Globalization Backlash