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Dienstag, 26. Januar 2010

Die Genossen und der Hindukusch

Am vergangenen Freitag lud die SPD zur großen Afghanistan-Konferenz ins Willy-Brandt-Haus. Erklärtes Ziel war es, gerade auch vor dem Hintergrund der bevorstehenden großen Konferenz zu Afghanistan in London, die Debatte um das deutsche Engagement fern der Heimat neu anzustoßen. Um den sicherheitspolitisch eher wenig engagierten Michel hinter dem Ofen hervorzulocken, fuhr die SPD schwere Geschütze auf. Ein Positionspapier sollte es geben, vorgestellt vom großen Vorsitzenden Gabriel und seinem Fraktionschef Steinmeier. Auch internationale Gäste waren geladen, so der ehemalige Außenminister Afghanistans, Rangin Dadfar Spanta, sowie der derzeitige NATO-Botschafter der Vereinigten Staaten, Ivo Daalder. Da man ja nicht nur präsentieren, sondern auch debattieren wollte, wurde zudem ein hochwertiges Podium versprochen. Und Catering.

Da wir in der Hauptstadt ja nicht gerade oft mit Grundsatzdebatten behandelnden Konferenzen gesegnet sind (Erinnert sich noch jemand an die letzte, als die CDU/CSU ihre „Sicherheitsstrategie für Deutschland“ vorstellte, nur um dann nie wieder darüber zu reden?), begab ich mich frohen Mutes zu gegebener Zeit in die Zentrale der Genossen. Der Andrang war groß, Anstehen angesagt und das Atrium bereits vor Beginn der Veranstaltung hoffnungslos überfüllt. Dass neben der nahezu vollständig anwesenden Führungsriege der Partei, den üblichen Verdächtigen der Berliner „Strategic Community“ und der Presse auch erstaunlich viel Basis anwesend war, ließ die Hoffnung aufkeimen, dass diese Veranstaltung tatsächlich der Startschuss einer breiten öffentlichen Debatte zum Einsatz am Hindukusch werden könnte. So viel interessierte Laien hatte das sicherheitspolitische Berlin in jedem Falle schon lange nicht mehr auf einer Veranstaltung gesehen.

Die Ernüchterung folgte auf dem Fuße. In Form von Sigmar Gabriel. Mal ehrlich: Wer zum Teufel schreibt heutzutage die Reden des Vorsitzenden der einstmals so stolzen Sozialdemokratie? Nachdem er zunächst eine gefühlte Ewigkeit damit zugebracht hatte, den versammelten Zuhörern zu erklären, dass die SPD in ihrer nahezu 150jährigen Geschichte Fragen von Krieg und Frieden immer als Prinzipienfragen behandelt hätte, aber NIEMALS als taktische Fragen, mit denen man dem politischen Gegner im Tagesgeschäft das Leben schwer machen könne, polemisierte er gleich darauf munter gegen CDU/CSU und FDP los. Lang. Und ausführlich.
Einen weiteren Höhepunkt erreichte die Rede, als Gabriel mit Verweis auf den anwesenden Egon Bahr die Forderung nach Verhandlungen mit den „moderaten Taliban“ (einer meiner derzeitigen Lieblingsbegriffe) erneuerte, und dieser Idee unter dem Label „Wandel durch Annäherung“ sozialdemokratischen Ursprung patentierte. Mal ganz davon abgesehen, dass diese Idee mit Sicherheit weder bei der SPD noch bei der CDU/CSU oder sonst wem in Deutschland ihren Ursprung hatte, macht das schon Sinn. Was bereits bei den ostdeutschen Brüdern hinter dem Eisernen Vorhang funktionierte, kann ja wohl auch bei radikalislamischen Afghanen kaum versagen.

Hmmm.

Das schließlich vorgestellte Positionspapier machte die Sache leider nicht wirklich besser, denn als Grundlage für die neue Debatte lieferte die SPD vor allem alten Wein in neuen Schläuchen. Man fordert eine verstärkte Hinwendung zum zivilen Wiederaufbau unter dem Dach der UNAMA. Nun gut, mehr Kooperation der zivilen Entwicklungsprojekte wäre wünschenswert und absolut zentral für den Erfolg in Afghanistan, aber wie soll dies erreicht werden? Dazu schweigt sich das SPD-Papier leider aus. Ebenso zu der Frage, wie man internationale Kooperation in diesem Bereich erreichen will, wenn selbst auf europäischer, ja sogar nationaler Ebene die linke Hand nicht weiß (und oft genug nicht wissen will) was die rechte so tut. Die Forderung, wenigstens im nationalen Rahmen die Aufbauhilfen der verschiedenen Ressorts einer wirksamen zentralen Koordination zu unterstellen, vermisst man in diesem Zusammenhang schmerzlich.
Nicht fehlen darf natürlich der Ruf nach der Verdopplung der Mittel für den zivilen Aufbau. Leider hilft viel bei der Entwicklungszusammenarbeit nicht immer viel. Mehr Geld heißt nicht unbedingt mehr Hilfe, ganz besonders wenn die Koordination nicht funktioniert. Hat man bei der SPD aber offenbar noch nichts von gehört.
Weiterhin fordern die Sozialdemokraten von der Regierung endlich einmal konkrete Maßnahmen bei der Förderung der „guten Regierungsführung“ und der Bekämpfung der Korruption. Wie so etwas aussehen soll, bleibt dabei wieder einmal im Dunkeln. Das muss nicht überraschen, fiel doch die SPD in der Zeit ihrer Regierungsverantwortung unter Rot/Grün und Rot/Schwarz auch nicht gerade mit besonders innovativen oder wirksamen Ideen in diesem Zusammenhang auf. Aber fordern kann man ja mal. Doch, Moment, eine Verwaltungsakademie will man gegründet sehen. Warum kommt man da eigentlich erst im neunten Jahr des Afghanistan-Engagements drauf? War die Notwendigkeit geschulter Verwaltungsangestellter während der eigenen Regierungszeit nicht zu erahnen?

Ähnlich gehalten war auch die Substanz beim Punkt Ausbau der Sicherheitsstrukturen. Hier fordern die Genossen den verstärkten Ausbau und endlich einen festen Zeitplan und feste Zielgrößen bei der Stärke der auszubildenden Strukturen. Aha. Auch nicht wirklich neu. Ein konstruktiver Vorschlag, woher man bei den derzeitigen Strukturen das ausbildungs- und auslandswillige Polizeipersonal zur Ausbildung bekommen will (man fordert immerhin die Verdopplung dieses Personals), fehlte - nicht aber ein kleiner Seitenhieb gegen die CDU/CSU-geführten Länder.
Immerhin bezahlen will man die benötigten afghanischen Polizisten direkt aus Deutschland – kurzfristig sicher eine Lösung. Die benötigten Kapazitäten für den verstärkten Aufbau der afghanischen Armee durch die Bundeswehr will man durch die Beendigung des an der Basis eh ungeliebten Tornado-Einsatzes innerhalb der mandatierten Personalobergrenze frei machen.
An der will man sowieso nicht rütteln. Eigentlich. Denn auch wenn man basisverträglich neue Kampftruppen ablehnt und die 4500 derzeit möglichen Soldaten für ausreichend erachtet, so versteckt sich in dem Papier doch die Hintertür, eine „maßvolle und zeitliche“ Überschreitung dieser Truppenstärke gegebenenfalls doch zu unterstützen.
Auf jeden Fall will man allerdings so schnell wie möglich die Sicherheitsverantwortung an afghanische Kräfte abgeben. Damit eng verbunden ist die Forderung, im „Zeitkorridor“ 2013-2015 das deutsche Engagement am Hindukusch wirklich zu beenden. Die Sozialdemokraten wollen so einerseits dem eigenen Wahlvolk eine Abzugsperspektive aufzeigen, wohl um die Unterstützung nicht vollends in den Keller sacken zu lassen, und damit andererseits die Afghanen zu verstärkten Anstrengungen ermuntern. „Vietnamisierung“ nannte man so etwas vor vielen Jahren einmal in einem anderen Kontext.
Ach so. Der zu unterstützende innerafghanische Versöhnungsprozess („moderate Taliban“, siehe oben!) kam natürlich ebenso erwartungsgemäß zur Sprache wie die alte Forderung nach stärkerer Einbindung der regionalen Mächte, letztere eher allgemein und ohne speziellen Bezug zur Problematik Indien/Pakistan - und natürlich weitgehend ohne konkrete oder innovative Anregungen.
Insgesamt hörten sich die Forderungen der SPD seltsam vertraut an, war kaum etwas Neues dabei. Dass die Sozialdemokraten die ISAF-Mission die längste Zeit als Regierungsmitglied mitgestalteten und daher für die von ihnen angeprangerten Missstände oft direkt mitverantwortlich sind, war bei den Ausführungen des Vorsitzenden kaum zu erahnen. Dem aufmerksamen Beobachter drängte sich allerdings die Frage auf, warum die Sozialdemokraten derlei Forderungen nicht bereits während ihrer eigenen Regierungszeit angehen konnten.

Geschwächt von Gabriels Rede und dem folgenden Pep-Talk des ehemaligen afghanischen Außenministers (Marke: Es ist nicht alles schlecht in Afghanistan), verpasste ich leider den größten Teil der Rede des NATO-Botschafters der Vereinigten Staaten über viel Kaffee und ausgezeichneten belegten Brötchen. Vielen Dank an dieser Stelle für das wundervolle Catering im Willy-Brandt-Haus!

Dermaßen gestärkt ging die Veranstaltung in ihre zweite und deutlich bessere Phase: Die Podiumsdiskussion. Zunächst mal Respekt für die Führung der SPD. Man ging der Diskussion der eigenen Positionen nicht gerade aus dem Weg. Geladen waren eine Menge Experten: Nikolaus Schneider (stellvertretender Vorsitzender im Rat der EKD), Generalmajor Karl Müllner (BW, Stabsabteilungsleiter Militärpolitik und Rüstungskontrolle im BMVg), Tom Koenigs (früherer Leiter der UN-Mission in Afghanistan), Jürgen Lieser (stellvertretender Vorsitzender der NGO-Vereinigung VENRO) und schließlich Volker Perthes (Leiter SWP). Darüber hinaus waren zahlreiche Wissende und Besserwissende im Publikum anwesend, die der exzellent und gewohnt herzlich-schroff moderierende Martin Schulz (MdEP) direkt in die Diskussion einbezog.

Der bei dem Papier der SPD eher schwach entwickelte Punkt der stärkeren Einbeziehung der regionalen Mächte nahm einen wichtigen Punkt in der Diskussion ein. Besonders die zentrale indisch-pakistanische Frage sowie das starke wirtschaftliche, nicht aber sicherheitspolitische Engagement Chinas waren hier Aspekte, die nach Meinung der Wissenden viel stärker beachtet werden müssten. Der Aufruf, das eigene Engagement enger im Gesamtzusammenhang der, vor allem amerikanischen, Gesamtstrategie zu beurteilen und eben nicht in jenen Regionalismus zu verfallen, der das deutsche Engagement am Hindukusch gemeinhin trägt, war ebenso deutlich zu vernehmen.
Allgemein bejaht wurde die Forderung nach dem verstärkten Ausbau der Sicherheitsstrukturen, die Experten aus Polizeikreisen hielten die Verdopplung der deutschen Ausbildungshilfe allerdings für illusorisch, da in Deutschland die erforderlichen Strukturen gar nicht vorhanden seien. Zudem wäre die Frage, welche Art von Polizei (Modell „deutscher Streifenpolizist" oder "italienischer Carabiniere"…) eigentlich angestrebt werde, noch gar nicht endgültig beantwortet. Zudem erteilte man der schroffen Absage der SPD nach mehr Kampftruppen eine ebensolche. Polizeiausbildung müsse eben in einem sicheren Umfeld erfolgen, und dies müsse in einigen Teilen Afghanistans - notfalls auch mit mehr Truppen - zunächst einmal hergestellt werden.
Der Vertreter der NGOs stellte den von der SPD mitgetragenen Ansatz der zivil-militärischen Zusammenarbeit grundsätzlich in Frage, und forderte, angesichts der Erfahrungen in Afghanistan diesen zumindest einmal unabhängig auf seine Wirksamkeit zu prüfen. Winfried Nachtwei (Grüne) gab zu bedenken, dass es selbst bei den in Deutschland daran beteiligten Akteuren kaum eine einheitliche Vorstellung von diesem Konzept gäbe, und der Vertreter des Bundeswehrverbandes forderte eine ehrliche Bestandsaufnahme eigener und fremder Konzepte. So seien die Ideen, wie ein PRT auszusehen habe, in Deutschland, den Niederlanden, Kanada oder den USA sehr unterschiedlich. Man könne da im Einzelfall durchaus voneinander lernen.
Was die „gute Regierungsführung“ der afghanischen Regierung und die Aussöhnung mit den „moderaten Taliban“ (schon wieder!) betrifft, so war bei den Wissenden der Trend zu der Feststellung zu beobachten, dass eine gute Lösung für Afghanistan nicht unbedingt eine nach unseren Vorstellungen sein müsste. Die Eingliederung dieser Gruppen in den afghanischen Staatsapparat würde dieses Gefüge zwangsläufig, nicht unbedingt nach unseren Vorstellungen, verändern. Perthes verwies in diesem Zusammenhang auf den Punkt, dass die Regierung Karzai trotz des Wahldebakels von den Afghanen weitgehend akzeptiert sei. „Good governance“ sei eben nicht zwangsläufig auch „democratic governance“.
Der von der SPD favorisierte „Abzugskorridor“ bis 2015 wurde erstaunlicherweise allgemein begrüßt, wenn auch vereinzelt Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines solchen Statements (Merke: Die Taliban können warten!) geäußert wurden. Es überwog die Hoffnung, ein solches Datum würde den Afghanen die Dringlichkeit der Übernahme von Verantwortung für ihr eigenes Land vor Augen führen, aber vor allem auch die Anrainerstaaten zu mehr Engagement animieren.
Richtigerweise wurde wiederholt dazu aufgerufen, sowohl bei der populären Forderung nach der Verdopplung der zivilen Hilfe als auch bei der weniger angesagten Frage nach mehr Kampftruppen nicht in starren Mustern zu agieren, sondern zunächst einmal die Frage „Wofür?“ zu beantworten. So könnten mehr Kampftruppen in bestimmten Situationen durchaus wichtig sein, während die doppelte Menge Entwicklungshilfe unter Umständen auf Grund fehlender Strukturen oder Absorptionsfähigkeit möglicherweise einfach versickern würde.

Auch die SPD-Basis verschaffte sich wortreich schwafelnd in Form eines bayerischen Mitglieds Gehör. Nach langer Vorrede und deutlicher Kritik an der Erreichbarkeit der führenden Genossen lautete sein Vorschlag schließlich, das Positionspapier könne gut und gerne auf wenige Zeilen gestrafft werden: sofortiger Abzug aus Afghanistan!
Hier haben die Genossen Steinmeier und Gabriel augenscheinlich noch etwas Basisarbeit zu leisten. Als Startpunkt einer ehrlichen Debatte zur Zukunft des deutschen Engagements in Afghanistan innerhalb und außerhalb der Sozialdemokratie taugte die Konferenz allemal. Und wenn die eingangs gemachten Statements zutreffen sollten, wonach das Positionspapier als ein zu diskutierender Entwurf zu verstehen sei - sozusagen der Beginn einer Debatte – dann kann man den Genossen nur viel Erfolg wünschen und hoffen, dass diese Debatte mehr Halbwertzeit haben wird, als die um die „Sicherheitsstrategie für Deutschland“ des politischen Mitbewerbers.